Die Reaktionswärme oder Reaktionsenthalpie ist ein wichtiger Parameter, um ein sicheres und erfolgreiches Scale-up chemischer Prozesse zu gewährleisten. Die Reaktionswärme ist die Energie, die freigegeben oder absorbiert wird, wenn Chemikalien in einer chemischen Reaktion umgewandelt werden. Sie beschreibt die Veränderung des Energiegehalts, wenn Reaktanten in Produkte umgewandelt werden. Reaktionen können exotherm (Wärme freisetzend) oder endotherm (Wärme absorbierend) sein, die meisten in der chemischen und pharmazeutischen Industrie durchgeführten Reaktionen sind jedoch exotherm. Neben anderen ist die Reaktionswärme eine der thermodynamischen Eigenschaften, die in der chemischen Entwicklung, beim Scale-up und bei der Untersuchung der Sicherheit verwendet werden, um Prozesse vom Labor- zum Fertigungsmassstab zu skalieren. Die Reaktionswärme oder Reaktionsenthalpie wird in der Regel als molare Enthalpie in kJ/mol oder als spezifische Enthalpie in kJ/kg oder kJ/L ausgedrückt.
Was versteht man unter Reaktionswärme?
Warum ist es wichtig, die Reaktionswärme zu verstehen?
Sicherheitsaspekte sind seit geraumer Zeit zu einem wesentlichen Bestandteil der chemischen Prozessentwicklung geworden und Sicherheitskonzepte werden bei der Entwicklung von Pilot- oder grosstechnischen Prozessen routinemässig konzipiert. Industrieverbände und Bundesbehörden wie CSB, OSHA (US), HSE (UK), EU-OSHA, EPSC (EU) oder IPE und die State Administration of Work Safety (SAWS) in China verlangen von der chemischen und Pharmaindustrie die Einhaltung von Vorschriften für eine sichere Produktion. Im Fokus der Richtlinien stand die Vermeidung von Zwischenfällen und Unfällen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie.
Die Risikobewertung erfordert chemische Eckdaten, die die Eigenschaften der Stoffe beschreiben, aber auch Informationen über den Prozess selbst. Neben anderen thermischen Informationen ist die Reaktionswärme ein wesentlicher Parameter, der verwendet werden kann, um Informationen über sichere Prozesse abzuleiten und Wissen über die Prozesssicherheit aufzubauen. Wissen über die Prozesssicherheit aufzubauen bedeutet auch, sowohl die gewünschten als auch die möglichen unerwünschten Reaktionen zu verstehen. Bei der unerwünschten Reaktion geht es in erster Linie darum, mögliche Neben- oder Folgereaktionen zu identifizieren, denen eine unkontrollierte Reaktion folgen kann. Die Untersuchung der gewünschten Reaktion hingegen zeigt, wie sich die Reaktion unter normalen Betriebsbedingungen verhält.
Die Ansammlung des Ausgangsmaterials, die Reaktionswärme, die Reaktionsenthalpie und die spezifische Wärme sind einige der Schlüsselparameter, die notwendig sind, um Kühlungsausfallszenarien der gewünschten Reaktion zu erstellen. Allerdings nutzen weiterführende Studien, wie die Bewertung von Worst-Case-Szenarien, der Kritikalitätsklasse oder der Kritikalitätsmatrix, die Informationen aus der Reaktionswärme in gleichem Masse.
Wie berechnet man die Reaktionswärme oder Reaktionsenthalpie?
Die Reaktionswärme kann basierend auf der Standardbildungswärme aller beteiligten Reaktanten berechnet werden. Sie wird jedoch in der Regel durch eine Messung der Wärmeentwicklung über die Zeit bestimmt. Dafür wird üblicherweise ein Reaktionskalorimeter verwendet, z. B. ein Wärmeflusskalorimeter.
Die Bestimmung der Reaktionswärme erfordert Kenntnisse über die Gesamtwärmeflussbilanz einschliesslich des Wärmeflusses durch die Reaktorwand, der Wärmemenge, die während der Dosierung der Reaktanten oder Lösemittel ausgetauscht wird, und der Wärme, die sich aufgrund eines Temperaturanstiegs oder einer Temperaturabnahme ansammelt.
Während die Wärmefreisetzungsrate und die Reaktionswärme Informationen dazu liefern, wie die Wärme in Abhängigkeit der Zeit freigesetzt wird, ergibt sich die Reaktionsenthalpie durch die Integration des Reaktionswärmetrends zwischen Beginn und Ende der Reaktion. Da alle einzelnen Wärmestromterme für die Gesamtwärmebilanz relevant sind, muss die Bestimmung so sorgfältig und genau wie möglich erfolgen.
Reaktionswärme chemischer Reaktionen
Ist meine chemische Reaktion exotherm?
Die Menge der Reaktionswärme hängt von den Reaktanten und den gebildeten Produkten ab und ist deshalb eine Funktion der Stärke der Bindungen zwischen den Atomen, die aufgebrochen und neu gebildet werden.
Wenn die Summe der Bildungswärme der Reaktanten grösser ist als die Bildungswärme der Produkte, ist die Reaktion exotherm oder Wärme freisetzend.
Anders ausgedrückt, die Reaktionswärme variiert je nach Reaktionsart und den beteiligten funktionellen Gruppen. Während die Reaktionswärme für eine typische Veresterungsreaktion bei 50 bis 70 kJ/mol liegt, kann sie bei Hydrierungsreaktionen von Nitroverbindungen Werte zwischen 300 und 600 kJ/mol erreichen.
Zersetzungsreaktionen (z. B. die Zersetzung von Sprengstoffen) sind viel stärker als die chemischen Reaktionen, die in der chemischen und pharmazeutischen Industrie typischerweise verwendet werden. Die Reaktionswärme solcher Zersetzungsreaktionen, die auch als Detonationswärme bezeichnet wird, liegt zwischen 4 und 7,5 MJ/kg des Materials.
Während die Reaktionswärme einer üblichen chemischen Reaktion in einem Reaktionskalorimeter leicht bestimmt werden kann, wird die Wärme von Zersetzungsreaktionen entweder mithilfe mathematischer Modelle oder mit Instrumenten wie z. B. einem dynamischen Differenzkalorimeter (DSC), einem Bombenkalorimeter oder einem sogenannten Detonationskalorimeter bestimmt.
Reaktionswärme im Vergleich mit der Wärmefreisetzungsrate
Konsistente Daten unterstützen ein sicheres Scale-up
Die Reaktionswärme beschreibt den Austausch der Gesamtenergiemenge, wenn Reaktanten in Produkte umgewandelt werden. Die Wärmefreisetzungsrate berücksichtigt dagegen, wie die Energie im Verlauf der Zeit freigesetzt wird, und wird in W oder J/s ausgedrückt.
Dies ist von grundlegender Bedeutung, denn auch wenn die Gesamtenthalpie der Reaktion eventuell nicht kritisch ist, kann die Geschwindigkeit, mit der die Energie freigesetzt wird, den Unterschied zwischen einem sicheren und einem gefährlichen Prozess ausmachen.
Die meisten Batch oder Semi-Batch-Reaktoren in der Produktion sind je nach Grösse und Kühlkonzept in der Lage, zwischen 25 und 35 W/L abzuführen. Deshalb muss die Wärmefreisetzungsrate eines chemischen Prozesses so designt werden, dass sie innerhalb eines bestimmten Bereichs der Wärmeentwicklungsrate liegt. Damit wird sichergestellt, dass die Reaktion sicher ablaufen kann, unabhängig von der Gesamtreaktionswärme.
Der Wert der Reaktionswärme in der Prozesssicherheit
Die Menge der Reaktionswärme ist bei einem Vorfall direkt mit dem Schweregrad verknüpft und findet besonders bei der Bewertung von Reaktionen, beim Scale-up und bei Berechnungen mit Bezug zur Prozesssicherheit Anwendung.
Im Rahmen von Untersuchungen der Prozesssicherheit wird die Reaktionswärme angewendet, um den sogenannten adiabatischen Temperaturanstieg zu berechnen und daraufhin die Höchsttemperatur der Synthesereaktion (MTSR). Der adiabatische Temperaturanstieg (ΔTad) ist eine Funktion der Menge des angesammelten Ausgangsmaterials, der Reaktionsenthalpie, der Menge der Reaktionsmasse und der spezifischen Wärme der Reaktionsmasse. Er beschreibt den theoretischen Temperaturanstieg der Reaktionsmasse, bei dem davon ausgegangen wird, dass ein Teil oder die gesamte Reaktion aufgrund eines Kühlungsausfalls im Werk adiabatisch abläuft. In einem solchen Fall nimmt die Temperatur des Reaktorinhalts proportional zur Umwandlung des nicht reagierten Materials zu. Folglich steigt die Prozesstemperatur um ΔTad an und erreicht die Höchsttemperatur der Synthesereaktion (MTSR).
Technologie für die Reaktionswärme
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Nur auf Grundlage der „tatsächlichen“ Reaktionswärme lässt sich das Fortschreiten einer chemischen Reaktion sowie deren Kinetik und Gefahrenpotenzial verstehen.
Thermische Konversion im Vergleich zur chemischen Konversion einer Reaktion
Die thermische Konversion stellt relevante Informationen für die chemische Prozessentwicklung bereit und beschreibt das Verhältnis zwischen der Teilreaktionswärme in Abhängigkeit von der Zeit und der Reaktionsgesamtwärme. Die Berechnung der thermischen Konversion basiert nur auf der während der Reaktion freigesetzten Wärme im Gegensatz zur chemischen Konversion, die auf der chemischen Konversion der Reaktanten in Produkte basiert.
Während die thermische Konversion am Ende der Reaktion immer bei 100 % liegt, kann die chemische Konversion niedriger sein und je nach Wahl der Prozessparameter variieren. Es ist tatsächlich Ziel der chemischen Entwicklung, die höchstmögliche Konversion der Reaktanten zu erreichen, um die bestmögliche Ausbeute zu erzielen.
Die Reaktionskalorimetrie ist in Kombination mit einer Echtzeitanalyse, wie z B. der In-situ-FTIR-Spektroskopie eine ideale Methode, um das Fortschreiten einer chemischen Reaktion, die Konversion von Reaktanten sowie die Bildung von Produkten, Nebenprodukten und Zwischenprodukten zu untersuchen, während gleichzeitig thermodynamische Informationen, wie z. B. die Reaktionswärme, der Wärmestrom, die spezifische Wärme oder die Wärmeübertragung gemessen werden.
Reaktionskalorimetriestudie führt zu Einsparungen von Kapital und Ausgaben
Dank der mit dem RC1 erlangten Informationen (z. B. Reaktionswärme, Wärmekapazität und Wärmeentwicklungsrate) wurde ein bewährter, aber dennoch anspruchsvoller Prozess optimiert und innerhalb einer sehr kurzen Zeit in grossem Umfang implementiert. Aus der Optimierung ergaben sich Einsparungen von ca. 70 000 USD, da keine Pilotphase erforderlich war. Darüber hinaus konnten durch kostengünstigere Anlagen und eine grössere Chargengrösse jährliche Einsparungen in Höhe von 50 000 USD bei den Produktionskosten erzielt werden.
Beide Schritte einer Indolsynthese, die Phenylhydrazon-Synthese gefolgt von einem Fischer-Ringschluss, wurden mit einem RC1-Reaktionskalorimeter untersucht.
Der Hauptfokus der Untersuchung lag auf der Wärmfreisetzungsrate sowie den Auswirkungen der Reaktionstemperatur und in einer späteren Phase auf der Dosierrate. Auf Grundlage der Experimentdaten konnten die Temperatur und die Dosierregelung sowie die Zeit und die Kühlleistung geschätzt werden, die für den Betrieb im Werksreaktor erforderlich sind. Die Tatsache, dass der bestehende Prozess so angepasst werden konnte, dass er nahezu dosierungskontrolliert ist, hat ausserdem die Sicherheit im Produktionsmassstab verbessert, wodurch der Bedarf für kostspielige Sicherheitsmassnahmen erheblich gesenkt werden konnte.
Reaktionswärme in industrienahen Veröffentlichungen
Nachstehend finden Sie eine Auswahl von Veröffentlichungen, in denen die Reaktionswärme oder Reaktionsenthalpie behandelt wird.
- Agosti, A., Bertolini, G., Bruno, G., Lautz, C., Glarner, T., & Deichtmann, W. (2017). Handling Hydrogen Peroxide Oxidations on a Large Scale: Synthesis of 5-Bromo-2-nitropyridine. Organic Process Research & Development, 21(3), S. 451 – 459, https://doi.org/10.1021/acs.oprd.6b00433
- Changi, S. M., & Wong, S. W. (2016). Kinetics Model for Designing Grignard Reactions in Batch or Flow Operations. Organic Process Research & Development, 20(2), S. 525 – 539, https://doi.org/10.1021/acs.oprd.5b00281
- Glotz, G., Knoechel, D. J., Podmore, P., Gruber-Woelfler, H., & Kappe, C. O. (2017). Reaction Calorimetry in Microreactor Environments—Measuring Heat of Reaction by Isothermal Heat Flux Calorimetry. Organic Process Research & Development, 21(5), S. 763 – 770, https://doi.org/10.1021/acs.oprd.7b00092
- Lakshminarasimhan, T. (2014). Predicting 24 and 8 h Adiabatic Decomposition Temperature for Low Temperature Reactions by Kinetic Fitting of Nonisothermal Heat Data from Reaction Calorimeter (RC1e). Organic Process Research & Development, 18(2), 315 – 320. https://doi.org/10.1021/op400301f
- Mitchell, C. W., Strawser, J. D., Gottlieb, A., Millonig, M. H., Hicks, F. A., & Papageorgiou, C. D. (2014). Development of a Modeling-Based Strategy for the Safe and Effective Scale-up of Highly Energetic Hydrogenation Reactions. Organic Process Research & Development, 18(12), S. 1828 – 1835, https://doi.org/10.1021/op500207r
- Wang, J., Huang, Y., Wilhite, B. A., Papadaki, M., & Mannan, M. S. (2018). Toward the Identification of Intensified Reaction Conditions Using Response Surface Methodology: A Case Study on 3-Methylpyridine N-Oxide Synthesis. Industrial & Engineering Chemistry Research, 58(15), S. 6093 – 6104, https://doi.org/10.1021/acs.iecr.8b03773
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